Die Anlaufstelle für Angehörige des Hamburger Fürsorgevereins

Wir haben ein humanistisches Menschenbild

Peter Ehrhardt
Autor: Peter Ehrhardt

Wer kommt über welche Kanäle zu uns? Und was wird von uns erwartet?

Die Besucher*innen erhalten Hinweise auf der Website unseres Vereins, durch ein Plakat im Besuchereingang der Untersuchungshaftanstalt, durch “Mund zu Mund“ – Propaganda und Hinweise von Mitinhaftierten, an die Angehörigen. Des Weiteren erhalten sie auch Informationen durch die Abteilungsleitungen der Haftanstalten.

Wie wird unser Name von Besucher*innen wahrgenommen?
Zunächst kommen vorwiegend Besucher*innen zu uns, deren Angehörige/r kurz zuvor in U-Haft genommen wurden. Entsprechend unsicher ist ihre Gemütslage und so können sich z.B. unsere ausländischen Mitbürger*innen kaum etwas unter dem Hamburger Fürsorgeverein vorstellen und vergessen unseren Verein namentlich sehr schnell. Den jüngeren Deutschsprachigen, ist vom Sprachgebrauch der Name ebenfalls häufig nicht geläufig und den „älteren“ Besucher*innen, kommt dann schnell die Assoziation zu „Fürsorge“, d.h. „Sozialamt/Sozialhilfe“ … Umgang mit „armen Menschen“.
Dies gehört zwar nicht zum Thema, ich denke aber, wir sollten unseren Vereinsnamen trotzdem nicht ändern, denn der Name „Hamburger Fürsorgeverein von 1948 e.V.“ ist ja immerhin eine etablierte Marke seit nun mehr als 70 Jahren!

Das Gespräch mit den Besucher*innen: Es geht sowohl ums Zuhören, als auch um das Sammeln und klären von „technischen Fragen“. Wir lassen Ängste formulieren und fragen auch danach, wie es den Besucher*innen in dieser Situation geht. Oft folgen dann Tränen, weil sich die Besucher*innen persönlich in Ihrer Trauer, in Ihrer Wut und Ihrer Ohnmacht wahrgenommen fühlen. Ich persönlich lasse die Tränen der Besucher*innen dann erst einmal laufen. Die Gespräche werden anonym durchgeführt; nur wenn Behördenangelegen­heiten geregelt werden müssen oder Briefe geschrieben werden, werden die Namen benötigt.

Wie ordne ich mein zukünftiges Leben? (Emotionen und viele praktische Einzelpunkte) Von der Haftbescheinigung für Gläubiger des Inhaftierten bis zum Ruhen der Lebensversicherung. Von der Abmeldung bei der Krankenkasse, bis zur Voll­macht der Ehefrau über das Konto des inhaftierten Ehemannes. Bekomme ich Infos vom Pflichtverteidiger oder der Staatsanwaltschaft meines Freundes oder soll ich mich als Verlobte meines Freundes ausgeben, um ggf. schneller an für mich wichtige Informationen zu geraten? Das Ausräumen von Vorurteilen über „das Leben im Knast“ sind ebenfalls Ängste von Angehörigen, besonders derer, die offenbar entsprechende Filme, reißerisch aufgemacht, in den Medien verfolgen. Viele Dinge wissen auch wir, das Team von Wolfgang, Ingeborg, Gabi und Peter nicht, weil wir die Aktenlage nicht kennen, wir kennen „nur“ die Aussagen und Vermutungen der Angehörigen. Umso wichtiger ist es, nicht zu spekulieren, keine Vermutungen unsererseits auszudrücken, keine Prognosen zu stellen. Dies löst auch Ängste aus und führt bei den Besucher*innen zu möglicherweise falschen Hoffnungen. Oft wird im Gespräch deutlich, dass sich die Angehörigen in einem „Hamster­rad“ befinden, das nicht aufhört, sich zu drehen. Wurden viele Punkte besprochen, fängt das Gespräch wieder von vorne an mit: ,,Aber wenn dann …“ oder das „Kopfkino“ veranlasst dann zu z.T. abenteuerlichen Befürchtungen.

Was können wir neben dem empathischen Gespräch tun? Einiges haben wir durch die Jahre hindurch erlernt und was wir nicht wissen, kann recherchiert werden. Ohne Internet wären wir sicher aufgeschmissen. In der zweitgrößten Stadt Deutschlands, gibt es eine Vielzahl von sozialen Beratungsstellen, Vereinen und Behörden, die in „speziellen Fragen“ zum Teil viel sinnvoller unterstützen können als wir. Um diese Stellen geht es, wir müssen die passende finden. Auch Angehörige in „großen Krisen“ ,,landen“ bei uns im Büro und sind dann erst einmal da. – Der Tod eines Babys, durch ein vom Partner erzeugtes Schütteltrauma im Beisein der leiblichen Mutter, ist eine große Krise. Anteilnahme; aber auch sofortige Weiterleitung an den Sozialpsychiatrischen Dienst ist hier unabdingbar. Wer zu uns kommt, den kennen wir nicht! Den Besucher*innen geht es genauso. Sie wissen nicht, was sie von uns erwarten können und beginnen „Ihre Ge­schichte“ oft völlig ungeordnet – auch weil sie es zum Teil selbst sind. Die Situation für uns als Team, einmal „nichts tun zu können“ ist sicherlich die frustrierendste Situation überhaupt. Wir müssen sie aber aushalten!
Es geht nicht immer nur um „Lösungen“ oder um Ratschläge. Aber ehrlich gesagt liebe Kolleg*innen, tun wir das doch recht häufig und das ist menschlich, und wie ich finde auch-Okay. Die Donnerstage empfinde ich immer wie „ein Griff in die Lostrommel“ Es passiert durchaus, dass in 14 Tagen absolut Garnichts passiert. Vielleicht ein paar Anrufe; aber sonst …. Garnichts! Dann kommt aber auch wieder viel Besuch und wir sind dann froh, dass sich das Warten gelohnt hat. Die Wartezeiten waren es wert!

Nochmal das „Hamsterrad“. Gespräche im Hamsterrad erfordern es, beizeiten einen „Anker zu werfen“, nämlich spontan ein anderes Thema zu erwähnen, dass das rotierende Rad zum Stehen bringt. Dann müssen wir herauskommen, aus dem „aber was wäre wenn … “. Tun wir das nicht, landen wir in 5-Stunden­-Gesprächen, die zwar empathisch sind; aber doch enorme Energien kosten, die wir investieren, die aber niemanden weiterbringen.

Wir machen keine rechtsverbindlichen Beratungen.
Wir dürfen bei den Angehörigen nicht den Eindruck erwecken, so etwas wie ein Anwalt oder eine behördliche Beratungsstelle zu sein. Ehrenamtler*innen haften nicht für erteilte Informationen, dies tun behördliche Stellen und Anwälte. Trotzdem müssen wir diesen Eindruck von, nennen wir es „Professionalität“ zumindest etwas vermeiden und ggf. im Gespräch darauf hinweisen. Ich bemühe mich der Ausdrucksweise „Besucher*innen“ statt sie „Klient*innen“ zu nennen. Das Wort „Beratung“ ist bei uns „ein Gespräch“.

Hier noch ein paar Beispiele aus der Praxis:

  • Eine Mutter braucht mehrfach telefonisch Zuspruch und Begleitung, weil die Tochter gerade wegen Mordes zu einer lebenslangen Strafe verurteilt wurde.
  • Eine Mutter bricht zusammen, weil ihr Partner in ihrem Beisein das gemeinsame Kind tötete.
  • Eine Ehefrau aus dem arabischen Raum, wurde vom Ehemann getötet, die deutsche „Erstfrau“ ist bei uns und schildert ihre Nöte.
  • Ein „alter Bekannter“ des HFVs braucht Unterstützung auf der Suche Nach einem neuen Campingplatz für seine 2 Wohnwägen, ein Wagen für Ihn, ein zweiter für seine Hunde.
  • Eine bürgerliche Familie mit Vater (Busfahrer), Mutter (Krankenschwester) und Tochter erschien bei uns. Sie würden es ihrem Sohn verzeihen, hätte er gestohlen; aber es schockiert sie sehr und macht sie fassungslos, dass ihr inhaftierter Sohn sich in der Nähe eines Schulhofes an einem Kind verging.
  • Eine Verlobte verteidigt ihren Freund, obwohl dieser wegen der Ver­gewaltigung einer anderen Frau unter Anklage steht.

Die Anlaufstelle ist nur ein Strohhalm von vielen, nach denen unsere Besucher *innen greifen. In der Gesamtheit der Strohhalme, in vielfältigem Angebot auch anderer Beratungsmöglichkeiten, die die Angehörigen „abarbeiten“ ist dies dann auch für sie eine „Trauerarbeit“, eine Möglichkeit, Dinge zu verarbeiten und beschäftigt zu sein.

Wir lassen uns darauf ein.“
Peter Ehrhardt  

Anlaufstellen – Hamburger Fürsorgeverein von 1948 e.V.

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