„So was Braunes“ in der Einkaufsliste der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg

Am nächsten Tag fahre ich zur JVA Fuhlsbüttel (im letzten Newsletter berichtete Adina Cho von der Kochgruppe in H-Sand, die einen Tag zuvor stattgefunden hatte), wo ich mit einem erwachsenen Insassen Deutsch übe, damit er künftig an den Therapiesitzungen teilnehmen kann. Ich erzähle ihm von den Jungs in H-Sand. Er schüttelt nur den Kopf und erzählt, dass er die ab und zu auch erlebe, wenn die hier in den „Erwachsenenknast“ verlegt würden. Die müssten dann erstmal erzogen werden, weil die keinen Respekt hätten.

Abu erzählt, dass die meisten im Knast erst richtig kochen lernen. Auch er hätte hier von Afghanen gelernt, wie man Reis im Topf richtig lecker zubereite. Und die würden immer „so was Braunes“ dazu tun, was super zu Reis passe. Ihm fehlt die Vokabel, obwohl er das regelmäßig über die Einkaufsliste der Haftanstalt bestellt. Seine Zellengenossen seien schon genervt, weil er immer wieder erklären müsse, was er bestellen möchte statt sich die Bezeichnungen zu merken. „Safran? Koriander? Kümmel? Fadennudeln?“, rätsle ich. „Nein, das tut man in Haferflockenmüsli rein“, erklärt er. „Sonnenblumenkerne?“. „Nein“. Schließlich kommen wir drauf: Rosinen!

Abu schwelgt weiter im Genuss von Lebensmitteln und teilt mit, wie er Kochbananen und Okraschoten vermisse. „Was für mich draußen so selbstverständlich war, habe ich im Knast erst richtig schätzen gelernt. Vor allem aber, was richtige Freunde sind.“
Den Knast setzt er mit einem „halben Tod“ gleich: Anfangs würden noch die Freunde und Familie trauern und an einen denken, aber das vergehe mit der Zeit bis man aus deren Leben gelöscht sei. Auch im Knast selber hätte er von 100 Mithäftlingen nur einen als Freund bezeichnen können. Man sei hilfsbereit und freundlich zueinander. Wenn einer keine Zigaretten oder Geld habe, könne er sich das von anderen leihen. Oder wenn er im Kühlschrank keinen Platz mehr für sein Hähnchen habe, könne er das im Kühlschrank von anderen lagern. „Aber deswegen sind das nicht deine Freunde. Wenn es darauf ankommt, denken die nur an sich. Da bin ich hier sehr vorsichtig geworden.“

Abu bestellt über die Einkaufsliste jedes Mal unterschiedlichen Knabberkrams für unsere Unterrichtsstunde. Da er Schwierigkeiten im Lesen und Verstehen der Deutschen Sprache hat, bittet er immer seine Zellennachbarn bei der Einkaufsbestellung um Hilfe. „Ich wollte heute die Einkaufsliste mitbringen, damit Sie sich aussuchen können, was Sie nächstes mal essen möchten, aber ich habe die leider in der Zelle vergessen“, sagt Abu liebevoll, der wegen schwerer Körperverletzung bis zu 10 Jahre bekommen hat. Dieses mal hat er extra einen Kuchen gebacken. Nusskuchen. Sein Lieblingskuchen. Abgewandelt mit kleinen Apfelstücken drinnen, weil er jeden Tag einen Apfel bekomme und nicht wüsste, was er damit machen solle. Die Apfelstücke passen prima und der Kuchen schmeckt herrlich saftig und ist noch schön warm. Abu ist besorgt, ob mir der Kuchen auch wirklich schmeckt und entschuldigt sich, dass der Kuchen noch warm sei. Denn eigentlich müsse der Kuchen erst abkühlen, wozu die Zeit nicht gereicht habe: „Ich hatte so einen Stress heute morgen, weil jeder den Backofen benutzen wollte zum Brötchenaufbacken. Für ein paar Stück Kuchen hat mich dann einer vorgelassen“. Ich bin gerührt von der Geste. Für Abu wiederum ist es erstaunlich, dass es „so gute Menschen“ gäbe, die an einem Samstag morgen freiwillig zum Unterrichten ins Gefängnis fahren.
Im Jugendgefängnis stoßen wir auch immer wieder auf Skepsis bei neuen Insassen: „Warum machen Sie das?“, werden wir verständnislos gefragt. Einige Insassen behaupten, dass wir das für berufliche Vorteile nutzen wollen. Etwas Ehrenamtliches zu tun ohne Eigennutz bzw. ohne etwas dafür zurückzuverlangen ist für viele Insassen befremdlich. „Hier kriegst du nichts umsonst. Wenn ich einen Insassen, der in der Küche arbeitet um einen Kuchen bitte, muss ich ihm dafür auch was anbieten“, erläutert Abu. Gleichzeitig fände er es aber auch schön, ohne Geld handeln zu können. Wenn er raus komme, würde das eine große Umgewöhnung für ihn sein, wieder alles mit Geld einzutauschen.

Am Ende unserer Unterrichtsstunde kommt die leitende Beamtin, um mich abzuholen und sagt zu Abu, dass sie die Einkaufsliste für ihn besorgt habe. „Ah, jetzt ist es zu spät. Wir wollten die zum Deutschüben benutzen“, erklärt er ihr. „Achso, warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?“, wendet sich die Beamtin an mich. Ich bin kurz verdutzt und schweige aber, um Abu nicht als Lügner darstehen zu lassen. Schließlich üben wir ja auch Deutsch, wenn ich ihm erkläre, welche Kekse auf der Einkaufsliste ich mag. Wer weiss auch, ob er insgeheim eigentlich nur selber für sich die Einkaufsliste verstehen wollte, um nicht ständig auf andere angewiesen zu sein. Aber im Knast lernt man vielleicht, je nach Gegenüber seine Bedürfnisse anders zu verkaufen.

Egal, am Ende versteht Abu Deutsch und die BeamtInnen verstehen Abu und ich hab meine Kekse ;)

Adina Cho
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